Die Ergebnisse des Fahrradklima-Tests 2016 wurden veröffentlicht. Mehr als 120.000 Bundesbürgerinnen und -bürger haben 539 Städte und Gemeinden im Herbst 2016 bewertet. Die Umfrageteilnehmer haben 27 Fragen beantwortet und jeweils eine Wertung nach dem Schulnotensystem vorgenommen. So wurde ermittelt ob das Radfahren Spaß oder Stress bedeutet, ob beispielsweise Radwege vor Falschparkern frei gehalten werden und ob sie sich auf dem Fahrrad sicher fühlen.
Wir haben uns die Ergebnisse angesehen und dabei besonderes Augenmerk auf die Bewertung unserer Heimatstadt Nürnberg gelegt.
Der Nürnberger im Allgemeinen und unsere Verkehrsplaner im Besonderen sind ja bekannt für ihre Anstrengungen die sich mit „geht scho“ und „passt scho“ zusammen fassen lassen.
Wer das Mittelfeld zum Ziel hat, muss sich nicht wundern, wenn er im letzten Drittel landet.
Vorrücken gefährdet
So auch das Ergebnis des Fahrradklima Tests für die Stadt Nürnberg. Aufgrund der Teilnahme von 1570 Personen aus der Stadt Nürnberg muss der Test als representativ angesehen werden. Die Gesamtbewertung liegt bei der Schulnote 4,1 und liegt dabei auf dem Platz 24 von insgesamt 39 Städten in der Größenordnung ab 200.000 Einwohner.
Im Detail fällt auf, dass die beiden einzigen (noch) guten Noten für die „Erreichbarkeit des Stadtzentrums“ (2,9) und die „Öffentlichen Fahrräder“ (ebenfalls 2,9) vergeben wurden. Letztere Note ist der Tatsache geschuldet, dass zum Zeitpunkt der Befragung das Fahrradverleihsystem noch funktionierte – was sich in der Zwischenzeit geändert hat. Diese 2 repräsentiert heute nicht mehr die aktuelle Situation.
Beendet das Parken auf Geh- und Radwegen
Sieht man sich die negativen Spitzenreiter in Nürnberg an, so fällt mit der Note 5,3 „Falschparkerkontrolle auf Radwegen“ auf. Das verwundert nicht, denn nicht nur Taxifahrer, Paketdienstfahrer und Monteure von irgendwas halten in unserer Stadt Rad- und Fußwege für optional verfügbaren Parkraum. Dagegen wird praktisch – außer in den von städtischen Verkehrsüberwachern kontrollierten Stadtteilen – überhaupt nicht vorgegangen. Meldungen von Bürgern an Polizei und SÖR werden üblicherweise nicht beachtet – man hat schließlich Wichtigeres zu tun.
Die zweite 5 erhielt die Stadt Nürnberg für „Ampelschaltungen für Radfahrer“. Es scheint so etwas zu geben – anderswo. Anderswo können Radfahrer an Ampeln auch auf einer dedizierten Wartefläche VOR den Kfz warten (das gibt es in Nürnberg auch, an exakt 2 Stellen). Die Umsetzung der Bevorrechtigung für Radfahrer scheitert in Nürnberg an dem allseits bekannten Dogma, dass man „die anderen“ Verkehrsteilnehmer nicht wegen der Radfahrer benachteiligen darf. Also benachteiligt man die Radfahrer.
Das dritte „Mangelhaft“ schließlich erhält Nürnberg für seine „Bemühungen“ der Verkehrsführung an Baustellen. Üblicherweise besteht die besondere Verkehrsführung für Radfahrer an Baustellen darin, dass am Beginn der Baustelle ein Schild „Radweg Ende“ und am Ende der Baustelle evtl. ein Schild „Radweg Anfang“ aufgestellt wird. Manchmal auch ein Zusatzschild „Radfahrer absteigen“. <Sarkasmuswarnung>Ich warte ja immer noch auf die Baustellenbeschilderung auf der steht „Autofahrer schieben“. </Sarkasmuswarnung>
Nach dem Test ist vor dem Test
So richtig gut haben Radfahrer in Nürnberg nichts bewertet. Gerade die negativen Spitzenreiter wären aber so leicht zu verbessern:
Kreuzungen für Radfahrer sicher machen
Warum wird (nicht einmal bei Neubaumaßnahmen, wie der vor kurzem fertiggestellten Kreuzung Minervastraße in der Gartenstadt) keine Wartefläche für Fahrräder VOR der KFZ-Haltelinie markiert und eine angemessene bevorrechtigte Ampelschaltung eingerichtet? Gefährliche Radspurmarkierungen ohne eine Möglichkeit vorzusehen auf dem Radweg abzubiegen dürfen auch in Nürnberg auf vielbefahrenen Hauptstraßen nicht mehr Standard bei Neubauten sein! Die nächsten Abbiegeunfälle Laster gegen Radfahrer sind vorprogrammiert.
Die Stadt Nürnberg muss bei allen Neubaumaßnahmen geeignete Verkehrsführungen für Radfahrer und Fußgänger vorsehen, die NICHT dem Kfz-Verkehr untergeordnet sind. Eine Kreuzung dient dem sicheren Wechsel der Richtung für alle – das muss auch für Fuß- und Radwege gelten und entsprechende Wege und Ampelschaltungen müssen sofort umgesetzt werden.
SÖR und externe Dienstleister
Sicherungsmaßnahmen an Baustellen werden in Nürnberg einerseits vom „Service öffentlicher Raum“ (SÖR) selbst (z. B. bei Gehwegereparaturen) andererseits von speziell hierfür beauftragten „externen“ Dienstleistern vorgenommen. Im Ergebnis klappt oft beides nicht. Beobachtet man die Realität an Baustellen, stellt man fest: Radfahrer schieben nicht und Fußgänger wechseln nicht die Straßenseite – auch nicht wenn ihnen das ein Schild vorschreibt. Übrigens: Autofahrer auch nicht – nur wird das von denen nicht erwartet.
Die Verkehrsregelungsmaßnahmen müssen das reale Verhalten der Verkehrsteilnehmer beachten und dürfen sich nicht einfach auf Verbote berufen. Ein Radfahrer darf erwarten, dass er – wenn auch unter eingeschränkten Umständen – eine Baustelle fahrend passieren kann. Ein Fußgänger darf erwarten, dass er eine Baustelle passieren kann ohne an einer Hauptstraße auf die andere Straßenseite zu wechseln (zumal das Überschreiten der Straße an solchen Stellen meist nicht vorgesehen ist).
Die Reduktion einzelner Fahrspuren sollte immer vorgenommen werden, wenn nur hierdurch die Aufrechterhaltung der Verkehrswege für alle Teilnehmer möglich ist.
Auf Schulungen sollten alle Mitarbeiter die an Baustellen im öffentlichen Raum im Einsatz sind sensibilisiert werden. Sie sehen vor Ort Schulkinder, die auf der Straße laufen, da der Gehweg durch eine Baustelle blockiert ist. Sie sehen, wenn Radfahrer verunsichert an der Baustelle stehen. Sie sind es, die Gefährdungen als erstes erkennen können. Sie müssen geschult werden, um solche Gefahrensituationen zu erkennen und ihnen sollte ein persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen, den sie einfach anrufen können. Das sollte zum Aufgabenbereich eines jeden Arbeiters auf der Straße gehören. Verbesserung der Verkehrsführung darf keinesfalls weiter als Behinderung bei der Ausführung von Baumaßnahmen angesehen werden.
Mietfahrräder (nicht nur) für ÖPNV-Kunden
Die Akzeptanz von öffentlichen Mieträdern steht und fällt mit der Koppelung an den ÖPNV. Wer einen Fahrschein für den ÖPNV erworben hat, der muss die Möglichkeit haben kostenfrei eine gewisse Zeit auch Mieträder nutzen zu können. Dieser unmittelbare Nutzen muss wieder hergestellt werden. Die Karten werden neu verteilt – wir fordern die Stadt auf der Realisation des Mietfahrräderkonzeptes große Aufmerksamkeit zu widmen und auch kreative Konzepte zur Finanzierung zu prüfen.
Ein Neuanfang ist immer auch eine Chance: Nürnberg sollte die Chance nutzen. So kann auch vermieden werden, dass Nürnberg beim nächsten „Fahrradklimatest“ noch schlechter abschneidet.
Doch ohne einen grundsätzlichen Wandel – ohne eine Abkehr vom Dogma „Autostadt“ – wird es bei bestenfalls halbherzigen Ansätzen bleiben. Eine Gleichberechtigung oder gar Bevorzugung des Rad- und Fußverkehrs der Stadt ist nötig. Dies ist aber nicht ohne eine gerechte Neuverteilung des öffentlichen Raumes zu haben. Kein Parkplatz steht unter Naturschutz.
Quellen: