Verkosten – wie geht das?
Bevor wir den Vorgang des Weinverkostens genauer unter die Lupe nehmen, muss erst einmal eine Abgrenzung erfolgen. Eine Abgrenzung, die auf den ersten Blick vielleicht überflüssig erscheint, dennoch von einer gewissen Bedeutung ist. Was unterscheidet Verkosten eigentlich vom ganz normalen Wein trinken? Da gibt es eine ganze Reihe von Ansatzpunkten.
Zunächst einmal zum Wein trinken:
Wein wird häufig, und zu Recht, als passendes Getränk zu Speisen betrachtet. Also als flüssiger Begleiter einer, wie auch immer gearteten Abfolge von Gerichten. Um diese Funktion erfüllen zu können, sollte der Wein einigermaßen zu den Speisen passen und, natürlich, er sollte schmecken. Dann ist ein gewisses Genusspotential erreicht und der Wein hat in diesem Szenario seine Schuldigkeit getan. Ebenso häufig wird Wein in Gesellschaft getrunken – quasi als Kommunikationsbegleiter. Das kann auf einem Empfang sein, in einer Kneipe, aber auch zu Hause mit Gästen. Dann soll sich der Wein nicht aufdrängen, sondern die Unterhaltung, die Kommunikation zwischen den Menschen, beflügeln, die Stimmung heben etc. Klar ist, auch hier sollte der Wein schmecken und dadurch zu einer positiven Gesamtstimmung beitragen.
In beiden Fällen steht jedenfalls nicht der Wein alleine im Mittelpunkt, sondern ist Mittler anderer Ansprüche, Wahrer anderer Aufgaben. Handelt es sich doch in beiden Beispielen nicht um Situationen, in denen die Aufmerksamkeit alleine auf den Wein fixiert ist.
Das ist bei einer Verkostung anders.
Was soll eine Verkostung bewirken?
Bei der Verkostung von Wein steht eben der Wein alleine im Mittelpunkt. Der Verkoster möchte sich eine Meinung über genau diesen Wein bilden, möchte seine Eindrücke vielleicht sogar mit seinen Erfahrungswerten aus anderen Verkostungen in Relation setzen, also Vergleiche anstellen. Am Ende einer Verkostung möchte der Degustator eine Meinung über diesen Wein formulieren können. Das kann beispielsweise in Form einer Verkostungsnotiz erfolgen. Hierbei kann es sich bei dem Verkoster sowohl um einen interessierten Laien, oder auch um einen Professionellen handeln. Unter Profis verstehe ich hierbei Menschen, die sich intensiv, eventuell auch beruflich, mit Wein und den damit verbundenen Fragestellungen beschäftigen. Also Weinhändler, Weinjournalisten, Winzer, Sommeliers, Weinimporteure usw. Diesem Personenkreis ist eigen, dass sie sich intensiv mit Wein beschäftigen und auch sehr häufig die unterschiedlichsten Weine verkosten. Dass das dennoch nicht alles Alkoholiker sind, liegt auch wieder an der Art einer professionellen Verkostung – dazu unten mehr.
Hier soll jedoch für den interessierten Laien dargestellt werden, was man sich unter einer Verkostung vorstellen kann und wie so etwas zu bewerkstelligen ist.
Was braucht man für eine Verkostung?
Grundvoraussetzung für eine Verkostung ist zunächst mal das Vorhandensein einer oder mehrerer Flaschen Wein, damit überhaupt was zum verkosten da ist. Man kann nun die Flaschen der Reihe nach oder auch gleichzeitig öffnen, jeweils probieren und versuchen, sich seine Meinung zu bilden. So etwas würde man eine „offene Verkostung“ nennen.
Man kann die Flaschen aber auch verhüllen, so dass die Etiketten nicht sichtbar sind und somit nicht sofort ablesbar ist, was sich in der Flasche verbirgt. Dann kann wiederum entweder der Reihe nach, oder aber gleichzeitig eine Verkostung stattfinden. Danach hat man zu jeder Probe vielleicht einige Stichworte notiert und kann anhand dieser Stichworte versuchen zu ermitteln, welche Rebsorten, welche Jahrgänge, welches Anbaugebiet usw. sich hinter den einzelnen Proben verbirgt. Profis sind darin, wie zu vermuten, erfahrener und „treffsicherer“ als Laien. Wird in dieser Form verkostet, spricht man von einer Blindverkostung. Eine solche Form der Verkostung kann dem Laien aber auch sehr viel Spaß bereiten, vorausgesetzt, der interessierte Laie hat bereits die Grundbegriffe der Weincharakteristika zumindest mal interessehalber wahrgenommen.
Was benötigt man sonst noch? Eine ganze Menge. Oft unterschätzt, aber von eminenter Wichtigkeit sind zum Beispiel Gläser. Nicht jedes Glas eignet sich wirklich zum Genuss von Wein. Ein gutes Weinglas sollte aus dünnem, klaren Glas sein. Das Glas sollte über einen Stil verfügen, an dem es angefasst werden kann. Das Glas sollte oben keinen „Rollrand“ haben. Der Kelch des Glases sollte so geformt sein, dass er die Aromen des Weines bündelt und der Nase freigibt. Die Form des Glases sollte überdies dergestalt ausgeprägt sein, dass der Wein, beim Nippen, an die richtigen Regionen des Rachenraumes und der Zunge gespült wird.
Sollte das jemand in Frage stellen, was ich gut verstehen kann, empfehle ich folgendes Experiment: Nehmen Sie eine Flasche Wein mittlerer bis guter Qualität und besorgen Sie sich verschiedene Weingläser. Durchaus bunt gemischt, von ganz billigen aus dickem Pressglas bis hin zu richtig guten (wie z.B. den Produkten der Fa. Riedel). Probieren Sie nun den gleichen Wein aus diesen verschiedenen Gläsern und Sie werden überrascht sein, wie unterschiedlich die geschmacklichen Eindrücke sind!
Dass bunte Gläser, Gläser mit Gravuren auf dem Kelch, irgendwelche Becher etc. für Verkostungen ausscheiden, sollte spätestens nach diesem Experiment klar sein. Ein empfehlenswertes Verkostungsglas ist z.B. das Degustationsglas des deutschen Weininstitutes oder das INAO Degustationsglas.
Also: wir haben nun Wein, Gläser, was fehlt noch? Etwas Mineralwasser und eventuell etwas Weissbrot. Der Ort der Verkostung sollte überdies einigermassen hell und frei von störenden Fremdgerüchen sein. Letzteres ist besonders wichtig, da das Aroma eines Weines ein wesentliches Bewertungskriterium ist. Probiert nun jemand filigrane Rieslinge während am Nebentisch eine Cohiba genossen wird, braucht sich niemand zu wundern, wenn das mit dem Verkosten nicht so hinhaut wie gewünscht!
Um loslegen zu können, muss nun etwas Wein ins Glas. Klingt profan, ist es aber nicht. Hier ist wichtig, dass man Weingläser nicht bis zum Rand vollschenkt. Es sollte noch genügend Platz im Kelch verbleiben, um den Wein schwenken zu können. Der Wein braucht Luft im Glas, um sein Bouquet entfalten zu können. Also wird nur recht wenig eingeschenkt: vielleicht ein oder zwei Schluck, das langt.
Optische Prüfung
Als erstes kann man nun die Farbe des Weines prüfen. Auch die erste Entscheidung fällt hier: Habe ich Rotwein, Weißwein, Roséwein oder Schaumwein vor mir? Zur Beurteilung der Farbe gibt es eine hitzige Diskussion: Auf der einen Seite kann man den Standpunkt vertreten, dass die Farbe eine klare Aussage über die Qualität des Weines, über seine Herkunft, über seinen Reifegrad und über sein Alter erlaubt und deshalb unbedingt in die Bewertung mit einfliessen sollte. Die Gegenposition vertritt die Ansicht, dass die Farbe eines Weines durch die Art des kellertechnischen Ausbaues beliebig durch den Winzer festlegbar sei, daher die Farbe als Bewertungskriterium völlig ausscheidet. Welcher der beiden Ansichten man zuneigt ist wohl von persönlichen Neigungen gekennzeichnet; es gibt gute Argumente für und gegen beide Positionen.
Falls man sich entschieden hat, die Farbe bei der Beurteilung des Weines mit zu berücksichtigen, sind nun einige Fragen zu beantworten: Bei Rot-, Weiss- und Rosewein sollten keine, oder nur sehr wenige, kleine Kohlensäurebläschen erkennbar sein. Deutliche Kohlensäure kann ein Indiz für einen sehr jungen Wein sein, der ganz kurz nach der Abfüllung verkostet wird. In späteren Lebensstadien des Weines ist deutliche Kohlensäure ein Indiz auf eine unerwünschte Nachgärung in der Flasche und somit ein Hinweis auf einen Weinfehler. Anders natürlich bei Schaumweinen: hier ist die Kohlensäure ausdrücklich erwünscht. Bei Schaumweinen wäre ein Qualitätsindiz beispielsweise die Anzahl der Kohlesäurebläschen, deren Größe, wie lange der Schaumwein Kohlensäure hält usw. Bei der Anzahl der Kohlensäurebläschen ist jetzt bitte nicht zu verstehen, dass man die zählen soll (so nach dem Motto: in dem Glas waren 24877 einzelne Bläschen ….), eine Abschätzung in „wenig, „viele“, „sehr viele“ reicht hier völlig. Beachten sollte man die Komponenten „Größe“ und „Dauer“. Bei edlen Schaumweinen, die nach der traditionellen Champagnermethode gewonnen wurden, sind die Bläschen i.d.R. kleiner, dafür gibt es mehr davon und sie halten sich länger im offenen Glas, als bei Weinen, die nach der Gärung mit Kohlensäure vesetzt wurden. Da sind die Bläschen gross und treten recht schnell vollständig aus dem Wein aus.
Auf keinen Fall sollten in dem Glas Schlieren im Wein, atypische Verfärbungen, schwebende Partikel o.ä. zu sehen sein. Bei den Partikeln ist natürlich zu prüfen, ob der Wein korrekt entkorkt wurde, oder ob Korkteilchen in den Wein gekommen sind. In diesem Fall wäre lediglich der Vorgang des Öffnens der Flasche fehlerhaft durchgeführt worden. Scheidet dies aus, sind Schwebeteilchen im Wein eher als negativ zu beurteilen. Generell sollte das Erscheinungsbild im Glas geprägt sein von Klarheit, Glanz und Sauberkeit. Eine weitere Faustregel ist, dass sich die Farbe eines Weines im Laufe seines Alterungsprozesses ändert. Bei Weissweinen ist zu beobachten, dass sie im Laufe ihrer Reifung immer dunkler werden. Bei Rotweinen ist es genau umgekehrt: diese werden im Laufe der Lagerung eher heller.
Gerüche, Aromen, Bouquet
Nach der Begutachtung des optischen Erscheinungsbildes des Weines kommt nun die erste „sensorische“ Prüfung: Es wird am Wein gerochen. Dazu schwenkt man das Glas kreisförmig. Nicht so heftig, dass der Wein aus dem Glas rausspritzt, aber schon so, dass der Wein in Bewegung kommt und den inneren Glasrand möglichst vollständig benetzt. Dann bewegt man die Nase dicht über das Glas und „schnüffelt“. Das ist ein spannender Moment: können doch die wahrgenommenen Gerüche äusserst vielschichtig sein. Auch ist es von Wein zu Wein verschieden, ob ein bestimmter Geruch eher positiv oder eher negativ zu bewerten ist. Riecht beispielsweise ein junger Riesling aus Rheinhessen intensiv nach Pferdemist, wäre das wohl eindeutig negativ zu beurteilen. Der gleiche Sinneseindruck bei einem Bordeaux kann eher Ausdruck besonderer Qualität sein. Es ist also sehr schwer hier allgemeingültige Regeln in kurze Worte zufassen. Auf keinen Fall sollte der Wein modrig, faulig oder korkig riechen. Das wäre ein ziemlich eindeutiges Indiz für einen Weinfehler. Ein Sonderfall sei erwähnt: riecht der Wein etwas (!) nach faulen Eiern, kann es sich hierbei um einen sogenannten Schwefelböckser handeln. Auch dies ist im Grunde genommen ein Weinfehler. Dieser spezielle Fehlton lässt sich jedoch zum Glück recht leicht beheben: Man wirft eine 1 Pfennig – Münze in das Weinglas, schwenkt den Wein einige Minuten und der Fehler ist verflogen. Die positiv zu bewertenden Aromen eines Weines sind Legion und unterscheiden sich sehr von Wein zu Wein. Da kann es florale Noten geben (Rosen, Blumenwiesen), Aromen von Früchten (Pfirsich und Aprikose beispielsweise beim Riesling, Mango, Litschi, Äpfel und vieles mehr), animalische Noten (Leder, Schweiss etc.) – die unterschiedlichen Aromen sind bei jeder Verkostung aufs neue faszinierend. Um sich hier etwas strukturiert zu bewegen gibt es Hilfsmittel: zum einen sogenannte Aromenräder, auf denen die am häufigsten vorkommenden Aromen genannt und zugeordnet werden. Andererseits gibt es ein sehr empfehlenswertes Buch: „Weine degustieren – leicht & spielend“, ISBN 3-444-10473-1 aus dem Hallwag Verlag, das hier Hilfestellungen mittels Karten gibt.
Jetzt wird probiert!
Jetzt kommt der große Moment: man nimmt einen Schluck Wein in den Mund. Auch für diesen, wohl wichtigsten Teil der Verkostung ist es sehr schwierig, allgemeingültige Regeln in wenige Sätze zu pressen. Man rollt den Wein im Mund herum, damit die ganze Zunge und der Mundraum mit dem Wein in Berührung kommen. Nun kann man sich einen Eindruck verschaffen, wie der Wein schmeckt. Wie wirkt die Säure? Wie süß ist der Wein? Welche Fruchtaromen sind enthalten? Man kann sich jedoch auch einfach auf die Formel „schmeckt mir“ oder „schmeckt mir nicht“ reduzieren. Auf keinen Fall sollte der Wein faulig, modrig, korkig schmecken. Die Säure sollte nicht stechen, die Süße nicht breit und pappig sein. Erwünscht ist ein harmonisches Geschmacksbild, mit deutlicher Säure, spürbarer (Frucht-)Süsse und einer Reihe von Aromen. Viele dieser Aromen lassen sich direkt der verwendeten Rebsorte bzw. den Rebsorten des Cuvees zuordnen. Auch über das Alter des Weines können jetzt weitere Annahmen getroffen werden. Junge Weine präsentieren sich i.d.R. frischer, spritziger mit mehr direkten Fruchtaromen als ältere Weine. Ältere Weine haben dagegen, wenn man Glück hat, komplexere und reifere Geschmackskomponenten.
Zum Schluss das Beste?
Als letzter Akt der Verkostung kommt die Beurteilung des Abganges. So nennt man den Eindruck, der beim Herunterschlucken des Weines entsteht. Um dies zu beurteilen kann man nun zum Einen den Wein einfach herunterschlucken. Sind aber beispielsweise recht viele Weine an einem Abend zu beurteilen, dann wird das nicht funktionieren. So ca. nach der 10ten Probe wäre der Verkoster wohl derart betrunken, dass eine Verkostung nicht mehr sinnvoll durchzuführen ist. Bei Verkostungen mit vielen zur Verkostung angestellten Weinen werden die Probeschlucke daher wieder ausgespuckt. Es bleibt dennoch genügend Wein im Rachenraum übrig, um zu einem Urteil über den Abgang des Weines zu kommen. Auch hier gilt: die Verschiedenheit und die Anzahl der unterschiedlichen Eindrücke machen es unmöglich, in zwei, drei Sätzen Qualitätskriterien darzulegen. Auf keinen Fall sollte der Wein über eine im Abgang spitze Säure, über pappig-breite Süße oder über Faul- und Modertöne verfügen. Auch einen korkigen Wein erkennt man gut am Abgang: Weine mit einem Korkfehler haben ein ganz typisches Erscheinungsbild beim Schlucken. Die Weine kratzen ganz leicht und ein leicht modriger Eindruck entsteht.
So, damit wäre man fertig. Die Eindrücke der einzelnen Beurteilungsstufen werden nun zusammengefasst. Also: wie beurteile ich den optischen Eindruck? Wie den Geruch? Wie den Geschmack? Wie den Abgang? Und: welchen Gesamteindruck habe ich von diesem Wein gewonnen? All dies kann man nun mehr oder weniger ausführlich festhalten – z.B. auf einem Degustationsblatt. Möchte man überdies noch zu einer Bewertung kommen, kann man auch einen Punktwert vergeben. Verwendet man das in Deutschland noch recht weit verbreitete 20-Punkte-Schema ergibt sich, bei fehlerfreien Weinen, ein Punktwert zwischen 10 und 20. Wie sich dieses 20-Punkte-Schema zusammensetzt können Sie hier nachlesen. Das wars schon. Vielleicht probieren Sie es einfach einmal aus. Sie werden sehen, das macht Spass und hilft einem bei der Beschäftigung mit dem wunderbaren Thema Wein. Und letztlich: Man lernt viel dabei. Also schnappen Sie sich eine Flasche, ein gutes Glas und probieren Sie. Viel Spass dabei!
Autor: Martin H. Geiger
Dieser Beitrag stammt von meinem Freund Martin H. Geiger, der im Herbst 2009 leider viel zu früh verstorben ist. Martin veröffentlichte auf seiner Webseite viele interessante Beiträgen zu den Themen Wein und Gastronomie. Um die zeitlosen Beiträge zu erhalten, wurden sie von mir hierher umgezogen und wo nötig – ich hoffe ganz im Sinne von Martin – überarbeitet.